Im Christentum ist uns die Metapher des Gehens gut vertraut, denn als Volk Gottes sind wir gemeinsam am Weg der Nachfolge Christi unterwegs. Wir versuchen uns dabei Gott anzunähern, und gleichzeitig wollen wir unsere Schritte trotz aller Unterschiede in gutem Miteinander setzen. Auch zu Ostern spielt dieses Gehen eine besondere Rolle, denken wir zum Beispiel an die Emmausjünger, die mit Jesus unterwegs waren, oder an jene Frauen, die sich auf den Weg zum Grab des Gekreuzigten gemacht und dort den Auferstandenen vorgefunden haben.
Nach der Pfingsterfahrung war den Jüngerinnen und Jüngern der ersten Zeit nicht immer klar, wohin ihr Weg sie führen würde, wie und wem sie das Wort Gottes verkünden sollten. So waren wohl viele Gespräche, vermutlich auch Streitereien notwendig. Aber sie haben eine Einigung erzielt und vielleicht haben die Apostel das beherzigt, was auch der deutsche Liedermacher und Pastor Clemens Bittlinger im Refrain eines seiner bekanntesten Lieder anspricht:
Wir wollen aufstehn, aufeinander zugehn, voneinander lernen, miteinander umzugehn. Aufstehn, aufeinander zugehn und uns nicht entfernen, wenn wir etwas nicht verstehn.
Das Lied besingt die Erfahrung, dass es immer wieder des Aufbruches bedarf, um festgefahrene Strukturen und etablierte Meinungen zu überwinden. Man müsse die Passivität hinter sich lassen, denn man sei schon »zu lange herumgelegen und [habe] viel zu viel schon diskutiert«. Auf den ersten Blick mag uns das komisch vorkommen, denn meist wird uns doch gesagt, durch‘s Reden würden die Leut‘ zusammenkommen und man könne daher nie genug miteinander reden und diskutieren.
Das mag wohl stimmen, aber das Lied erinnert uns auch daran, unseren Worten doch Taten folgen zu lassen und unsere guten Absichten endlich zu verwirklichen.
Vielleicht kannten diese Erfahrungen auch die Apostel, deren Diskutieren und Überlegen sich irgendwann einmal im Kreis drehte, bis einer den Mut fand und meinte: »Wir wollen aufstehen, aufeinander zugehn…«. Und so haben sie sich auf den Weg der Verkündigung gemacht.
Zugegeben, das klingt ein wenig naiv und für manche sogar kitschig. Vielleicht ist das grundsätzlich eine Schwäche des Liedes, das sehr optimistisch von einer »wunderbaren Vielfalt« singt und davon, dass »Fremde Nachbarn werden« und irgendwann sogar »Freunde«.
In Jahren von kriegerischen Konflikten, von Umweltkrisen und wirtschaftlichen Notlagen, die Menschen in die Armut treiben oder zur Flucht zwingen, in Zeiten der neuen sozialen Medien, wo scheinbar jede beliebige Meinung hinausgeschrien werden und als »Wahrheit« gleichwertig neben anderen stehen darf, da mag man die positive Perspektive unseres Liedes anzweifeln. Aber ob es deswegen falsch ist? Vielleicht lohnt gerade zu Ostern, zum Fest der Auferstehung, ein Versuch des Aufbruchs und Neuanfangs. Also dennoch: »Wir wollen aufstehn…«
Text: Raimund Stadlmann
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