Wir sehen und spüren es täglich. Die Welt ist im Umbruch.
Krisen häufen sich. Vieles ist im Fluss. Auch im Bereich des Religiösen. Er ist geprägt – wie die Forschungsdaten des Pastoraltheologen Paul Zulehner in seiner Studie »Wandlung. Religionen und Kirchen inmitten kultureller Transformation« belegen – vor allem durch Säkularisierung und Individualsierung. Auch wir können das beobachten. In Europa leeren sich die Kirchen. Viele sind von ihr enttäuscht und erwarten nichts mehr von ihr. Institutionen wird – aus welchen Gründen auch immer - misstraut, die Person Jesu (»Jesus ja, Kirche nein«) stößt aber doch auf Interesse. Und im noch überwiegend christlichen Europa ist auch die Sehnsucht nach Spiritualität groß, die auch andere Religionen interessant macht. Vor allem junge Menschen suchen dort für ihre Fragen Antworten, die ihnen institutionelle Kirchen nicht mehr zu geben vermögen. Fakt ist auch, dass vor allem Jugendliche und junge Erwachsene die verloren gegangene traditionelle Religiosität mitunter mit Bastelreligiositäten ersetzen, indem sie von verschiedenen Religionen das auswählen, was sie für ihre Sinnsuche benötigen.
Und sie machen die Erfahrung, dass es mehrere Zugänge zu einem spirituellen Leben gibt, die ihr Leben bereichern können. Und die Globalisierung bringt es mit sich, dass durch Migration auch andere Religionen
mit einem unterschiedlichen Verständnis von Religion bei uns heimisch geworden sind. Es liegt deshalb auf der Hand, dass die Angehörigen verschiedener Religionen daher lernen müssen, mit notwendigem Respekt und der nötigen Toleranz nicht nur einander zu begegnen, sondern auch friedlich miteinander zu leben. Das gelingt umso besser, wenn man nicht das Trennende, sondern das Verbindende sucht und mehr in den Blick nimmt.
Leider hat es in der Christenheit sehr lange gebraucht, um eine positive Einstellung anderen Religionen gegenüber zu gewinnen. Erst das Zweite Vatikanische Konzil hat mit der offiziellen Erklärung »Nostra aetate«, die am 26. Oktober 1965 verabschiedet und von Papst Paul VI. am 28. Oktober 1965 rechtskräftig verkündet wurde, dazu den Weg frei gemacht. Die Erklärung bedeutet, dass der bislang exklusiv verstandene Wahrheitsanspruch der römisch-katholischen Kirche, außerhalb der Kirche gäbe es kein Heil, relativiert wurde: Die Katholische Kirche, so heißt es, lehne nichts von dem ab, was in den Religionen »wahr und heilig« ist.
Der Konzilstheologe Hans Küng hat sich aus dieser Einsicht heraus intensiv für einen interreligiösen Dialog und eine konstruktive Begegnung zwischen den Religionen engagiert. Im Projekt »Weltethos« machte er sich auf die Suche nach gemeinsamen Werten, die für einen Dialog fruchtbar gemacht werden können. Er hat erkannt, dass die Ethiken der großen Weltreligionen einander nicht widersprechen, sondern vielmehr zu einem Weltethos zusammengeführt werden können. Ausgangspunkt seiner Überzeugung: »Ohne einen minimalen Grundkonsens bezüglich bestimmter Werte, Normen und Haltungen ist weder in einer kleineren noch in einer größeren Gemeinschaft ein menschenwürdiges Zusammenleben möglich.« (H. Küng, Projekt Weltethos)
Küng war überzeugt, dass alle Religionen und Kulturen bereits grundlegende Werte- und Moralvorstellungen gemeinsam haben. Die »Goldene Regel«, die jedem von uns in folgender Form geläufig ist: »Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.« ist eine davon. Sie taucht auch in den großen Religionen Christentum (Mt 7,12; Lk6,31), Islam, Judentum, Buddhismus und Hinduismus auf. Und fünf Jahrhunderte vor Christus stellte schon Konfuzius seine eigene Goldene Regel auf: »Zwinge anderen nichts auf, was du selbst nicht willst« (Konfuzius, Gespräche 15,23). Menschlichkeit nennt Küng als zweites Grundprinzip.
Unter seiner Federführung kam es 1993 in Chicago zu einer offiziellen Erklärung zum Weltethos. Dabei verständigten sich erstmals Repräsentanten und Repräsentantinnen aller Weltreligionen auf folgende Kernelemente eines gemeinsamen Ethos: Aufbauend auf den zwei Prinzipien Menschlichkeit und Gegenseitigkeit sind es fünf grundlegende Werte: Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Gleichberechtigung und ökologische Verantwortung.
Diese Werte sind die Basis für ein friedliches Miteinander. Grundsätzliche Voraussetzung dafür sind für Hans Küng gegenseitige Wertschätzung und die Bereitschaft, gemeinsam Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu übernehmen. Und das aus seiner tiefen Überzeugung heraus, dass es keinen Weltfrieden ohne den Frieden zwischen den Religionen gibt. Um das Projekt Weltethos voranzutreiben, gründete Hans Küng 1995 gemeinsam mit Karl Konrad Graf von der Groeben die Stiftung Weltethos, um seine Idee wachzuhalten
und interreligiöse Verständigung zu fördern.
Was bedeutet das für uns selbst? Ich denke, sehr viel.
Wenn wir heute, wo mancherorts von einem »Kampf der Kulturen« die Rede ist, wieder mehr in den Blick nehmen, wie viel wir mit Menschen aus anderen Kulturen und Religionen gemeinsam haben, könnte uns das helfen, besser miteinander zu leben und ein friedliches Miteinander in Vielfalt zu ermöglichen.
Denn außer Streit steht, dass alle Religionen als Suchende unterwegs sind zum großen Geheimnis Gottes.
Bleiben wir also im Dialog und verändern so die Welt.
1. Gewaltlosigkeit
Erst wenn Waffen schweigen, kann man ins Gespräch kommen.
2. Gerechtigkeit
Nicht nur das eigene Wohl sehen, sondern fair und solidarisch handeln.
3. Wahrhaftigkeit
Ehrliches und aufrichtiges Handeln
4. Gleichberechtigung & Partnerschaft
Begegnung auf Augenhöhe
5. ökologische Verantwortung
Schutz für Mitwelt, Umwelt und Nachwelt
Text: August Brückler
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